Autosuggestionscamp Ericusspitze

c
Comments Off on Autosuggestionscamp Ericusspitze
September 15th, 2014

Der politische Journalismus befindet sich seit Beginn des Kriegs gegen den Terror in der Krise. Der Verfall journalistischen Handwerks hat mit der Ukraine-Berichterstattung unserer Medien einen neuen Tiefpunkt erreicht. Max Dax und Robert Defcon führen in der spex ein Gespräch zur Zeit.

Robert Defcon: Als am 11. September in New York die Türme fielen, konnte man auf CNN und Fox in Echtzeit verfolgen, wie die zivile durch eine militärische Logik abgelöst wurde. Man hatte den Eindruck: Jeder, der noch eine Uniform im Kleiderschrank hat, holt sie jetzt raus. Die neue Kleiderordnung unterstrich, dass von nun an das Militär das Sagen hat. Der „War on Terror“ entfaltete sich daraufhin wie auf Autopilot. Kein Ereignis der Nachkriegszeit hat die zivile politische Kultur des Westens nachhaltiger ruiniert.

Max Dax: Wenn ich an diesen Krieg denke, kommt mir Paul Verhoevens „Starship Troopers“ in den Sinn—in seiner Diagnostik ist der Film für mich bis heute einer der gültigsten Zukunftsentwürfe, die Hollywood je hervorgebracht hat. Bizarrerweise wurde der Film, der Militarismus und Faschismus mittels satirischer Überspitzung anprangert, in Deutschland als pro-militaristisch und somit jugendgefährdend indiziert. Tatsächlich waren Verhoevens Rieseninsekten nichts anderes als eine universale Chiffre des Terrors—der Feind, auf den sich alle einigen können. „Unsere Jungs und Mädels“ hingegen, die Bodentruppen der Föderation, sind frisch der Highschool entschlüpfte, beklemmend naive Cheerleader-Dumpfbacken, die sich nicht beklagen, dass sie als Kanonenfutter in die Schlacht ziehen.

Defcon: Im Finale stellt einer der Soldaten nach unvorstellbarem Kriegshorror durch telepathisches Handauflegen bei einem gefangenen Alienwesen fest: Es hat Angst. Alle brechen in Jubel aus. Sieg bedeutet hier: Die eigene Angst zu überwinden, indem man sie auf das entsetzliche Andere überträgt. Der erste Irakkriegseinsatz 2003 wurde „Shock and Awe“ getauft. Das benennt nicht bloß eine uralte Kriegstaktik, um die Zivilbevölkerung zu überrumpeln und zu demoralisieren, sondern es ist auch eine psychologische Technik, um die eigene Angst zu der des Gegners zu machen.

Schlussszene aus Starship Troopers: “Es hat Angst”.

Dax: Für mich ist der Abschlussball der frisch ausgebildeten Starforce-Kadetten eine Schlüsselszene: Zu den Klängen von David Bowies „I Have Not Been to Oxford Town“ wird vor dem ersten Kriegseinsatz noch ein letztes Mal getanzt, gelacht und geküsst. Oxford Town ist hier die Metapher für das ungelebte Leben. Es sind die Erfahrungen, die man nie machen wird. Neulich, auf dem Weg nach Detroit erlebten wir unseren eigenen Starship-Troopers-Moment in La Guardia.

Defcon: LED-Bänder wiederholten unablässig den Spruch „God bless our troops“, als habe Jenny Holzer diese programmiert. Nur: Es war keine Kunst, es war Ernst. Bei unseren folgenden Gesprächen in Detroit bemerkte Prof. Michael Stone-Richards, dass es Teil des amerikanischen Narrativs sei, als Heimat der Freiheit diese selbstverständlich in andere Länder zu exportieren—und zwar mit Gewalt. Nach zwei katastrophalen Kriegen ist dieses Narrativ implodiert. Aber offen über das Ende dieses Narrativs zu sprechen ist im Mainstream noch immer undenkbar.

Dax: Raymond Pettibon stellte 2007 bei Zwirner in New York eine Reihe politischer Bilder aus, die, in Anlehnung an Goyas „Schrecken des Krieges“-Radierungen den Krieg gegen den Terror thematisieren. Im Gespräch zeigte sich Pettibon entsetzt, dass die amerikanischen Leitmedien—die New York Times, die Washington Post, der New Yorker—den Krieg bedingungslos befürworteten. Ähnlich wie bei Verhoeven „stellte niemand mehr die Frage, warum das Ganze eigentlich passiert war.“

Forderungen Osama Bin Ladens. Quelle: Raymond Pettibon. Here’s Your Irony Back, Political Works 1975-2013.

Defcon: Das Erstarken des embedded journalism, der sich inhaltlich mit der jeweiligen Regierungslinie deckt, ist Symptom einer Systemkrise. Die Durchsuchung und Bespitzelung von Redaktionen, das Aufweichen des Schutzes von Journalisten und Informanten und zahllose weitere Drohgesten sind Teil dieses Phänomens, dessen Kitt die Angst ist: Die Angst, die sie haben und die Angst, die sie denjenigen machen wollen, die ausscheren. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass Edward Snowden ausgerechnet in Russland und Julian Assange in der Botschaft von Ecuador Zuflucht gefunden haben—also bei Gegenspielern des transatlantischen Pakts. Unser System ist nicht nur nicht in der Lage, diese Informanten angemessen zu schützen, im Gegenteil: Es verfolgt sie.

Dax: Und gleichzeitig profitieren Journalisten von der größten je vom Menschen verfassten Enzyklopädie, dem Internet, das sich in Millisekunden durchbrowsen lässt. Das erlaubt ein wesentlich komplexeres journalistisches Arbeiten als dies noch vor wenigen Jahren denkbar gewesen wäre. Es ist befremdlich, dass dieses Weltwissen nicht zur Aufklärung genutzt wird. Stattdessen erleben wir das Abdriften der Massenmedien in die Hysterie, die mit unterkomplexen, emotionalen und parteiischen Darstellungen des Weltgeschehens einhergeht. Was nicht nur zu einer permanenten Reibung zwischen Massenmedien und Internet, sondern auch zu wachsendem Misstrauen führt. Mit dem „Stoppt Putin jetzt“-Titel des Spiegels hat die Vertrauenskrise auch die Qualitätsmedien erreicht.

Defcon: Die Berichterstattung über die Ukraine ist ja nicht nur deshalb so bestürzend, weil sie so parteiisch ist, sondern weil man sich nicht einmal mehr die Mühe gibt, schlüssig zu argumentieren. Erst setzt der Spiegel Tote auf dem Cover als Geiseln der Legende ein, „niemand im Westen“ zweifele daran, dass Putin am Abschuss von Flug MH17 über der Ukraine schuld sei, und dann wird aus dem zugestandenermaßen versehentlichen Abschuss durch pro-russische Separatisten die Notwendigkeit von Sanktionen gegen Russland hergeleitet – bereits an sich eine haarsträubende Gaga-Logik. Wenig später liest man auf Spiegel Online im Kleingedruckten, wer das Flugzeug abgeschossen habe, sei ja bis dato ungeklärt, wahrscheinlich unklärbar. Doch selbst offenkundige Widersprüche in der eigenen Argumentation werden nicht mehr reflektiert, so sehr hat sich das Autosuggestionscamp an der Ericusspitze radikalisiert.

Dax: Ein erwachsener Leser braucht einen erwachsenen Autoren, der in der Lage ist, von seinen Interessen, seinen Abneigungen und seinen Vorlieben zu abstrahieren—und dabei von seinem Verleger und der Redaktion den Rücken gestärkt bekommt. Es ist in diesem Sinne auch de facto egal, wem meine jeweiligen Sympathien gelten. Und die Erfahrung zeigt, dass ein aufklärerischer Journalismus, der den Lesern Erkenntnisse zumutet, auch offen begrüßt wird.